So, wir haben nun endlich die Passionslieder hinter uns gelassen. Sie sind ein dicker Brocken.
Wir hatten ja durch das Kirchenjahr bedingt mit Ostern angefangen, sind dann zurück einen Schritt zur
Passion. Da gab es die große Liste von zahlreichen Passionsliedern Paul Gerhardts und mit diesen sieben
Liedern an die Gliedmaßen Christi gerichtet. Nun gehen wir wieder richtig im Kirchenjahr weiter, das
heißt jetzt springen wir nach Pfingsten. Wenn ich fragen würde wer kennt ein Pfingstlied von Paul
Gerhardt? Ich weiß nicht ob es einfallen würde. Pfingstlieder sind allgemein nicht so bekannt, nicht
so populär und dann noch speziell von Paul Gerhardt. Nun es gibt eines das doch relativ oft
gesungen wird nämlich zieh ein zu deinen Toren sei meines Herzens Gast im Gesangbuch heute die Nummer
133. Ich habe in dem Handout die drei Pfingstliedertexte zusammengestellt die es von Paul
Gerhardt gibt. Es ist also tatsächlich wie bei Ostern es gibt nur drei, nur drei Paul Gerhardt
Lieder zu diesem Kasus Pfingsten. Im Gesangbuch ist nur das eine und dem wollen wir uns jetzt auch
zunächst als erstes zuwenden. Ursprünglich nicht zieh ein zu deinen Toren sondern zeug ein zu deinen
Toren so stand es auch noch im letzten Gesangbuch des EKG und das zeug ist dieser allgemeinen
redaktionellen Vorgabe zum Opfer gefallen, dass solche altertümlichen Sprachwindungen nach
Möglichkeit geändert werden sollten um dadurch kein Hindernis für die Rezeption fürs Verständnis
aufzubauen. Aber das Zeug ist natürlich ein sprachlicher Verlust und ich komme gleich noch
drauf auch mit welcher kleinen Porte. Ich habe hier die Melodiefassung wie sie bei Krüger in der
Praxis Pietatis Melica aufkommt also sie haben sie im Ort. Zeug ein zu deinen Toren sei meines
Herzens Gast und so weiter. Ich spiele dann gleich mal noch an der Orgel den Satz oder später mal
mit dieser Melodie ist das Lied auch heute im Gesangbuch. Es ist eigentümlich dass es von Krüger
dazu außer dieser Notierung mit Sopran und Vassal Continuo keinen ausgearbeiteten Satz gibt also
anders als bei den anderen Lieder wo die Melodie von Krüger stammt und der dann auch vierstimmige
oder gar sechsstimmige Sätze eben mit diesen zwei Instrumentaloberstimmen geschrieben hat,
gibt es hier nur diesen zweistimmigen Satz. Ich kann keine Mutmaßung anstellen was der
Hintergrund ist. Vielleicht der Hinweis Paul Gerhard scheint beim Dichten des Liedes eine
bestimmte Melodie im Kopf gehabt zu haben. Ich habe es notiert unter den Notenseilen von Gott
will ich nicht lassen. Das ist die Lehnenmelodie auf die auch sonst verwiesen wird, auf die auch bei
Eberling dann in der Gerhard Lieder Ausgabe verwiesen wird. Also man kann auch singen. Zeug ein zu deinen
Toren sei meines Herzens Gast, der du da ich geboren mich neu geboren hast. Hochgeliebter
Geist des Vaters und des Sohnes mit beiden gleichen Thrones mit beiden gleich gepreist. Wenn ich das so
singe dann fehlt nichts. Mit diesem hochgeliebter Geist mit diesem Einsatz auf dem hohen Ton dieser
schönen Passage nach der Wiederholung. Man könnte jetzt alle Strophen des Liedes mit dieser Melodie
bewusst durchsingen und feststellen, dass es schon sehr gut passt. Also offensichtlich hatte Paul
Gerhard wirklich diese Melodie im Ohr und hat das Lied ein Stück weit auch dieser Melodie auf den
Leib geschrieben. Auch die eigene Melodie von Johann Krüger nimmt darauf Bezug, indem dieses
hochgeliebter Geist des Vaters und des Sohnes durch die Führung nach oben hervorgehoben wird.
Und ich singe jetzt noch mal die erste Strophe ohne Begleitung mit Krügers Melodie. Zeug ein zu deinen
Toren, sei meines Herzens Gast, der du da ich geboren mich neu geboren hast. Hochgeliebter
Geist des Vaters und des Sohnes mit beiden gleiches Drohnes, mit beiden gleich gepreist.
Diese ein bisschen virtuos wirkenden Durchgangsnoten sind in der Gesangbuchfassung natürlich getilgt,
aber sie gehören ursprünglich dazu. Also, hochgeliebter Geist des Vaters und des Sohnes mit
beiden gleichen Drohnes ist auch von Johann Krüger als Huldigung, als des göttlichen Geistes in der
Richtung nach oben deutlich hervorgehoben. So viel vorneweg zur Melodie und zur musikalischen
Fassung. Jetzt kommen wir zu einem Spezialproblem dieses Liedes, nämlich ich habe links notiert
EG 133 13 Strophen und den Ausrufezeilen dazugesetzt, denn wie hier ersichtlich in der
Praxis Pietatis Melica hat es Lied 12 Strophen. Was nun? Der absolute Sonderfall, dass ein
Paar Gerhardt Lied im Gesangbuch mehr Strophen hat als ursprünglich. Normalerweise sind
sie im Gesangbuch ja immer weniger, weil irgendwelche von der Ursprungsfassung als schwer vermittelbar
heute gestrichen werden. Hier eine mehr. Nun, das kommt daher, ich habe es weiter unten
notiert, das Lied hat also 1653 bei der 1. Edition in Praxis Pietatis Melica 12 Strophen.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:01:50 Min
Aufnahmedatum
2020-05-20
Hochgeladen am
2020-05-24 21:05:41
Sprache
de-DE
Das Phänomen Paul-Gerhardt-Lieder II
Die Lieder von Paul Gerhardt (1607-1676) sind "Evergreens" trotz ihrer veralteten barocken Sprach- und Vorstellungswelt, trotz ihres oft schweren theologischen "Ballasts", trotz ihrer Überlänge. Die Vorlesung nimmt einzelne Lieder in Textgestaltung wie Melodiezuweisung genauer unter die Lupe, vermittelt historischen Hintergrund der Liedentstehung und gibt Einblicke in die Liedrezeption durch die Jahrhunderte in Gesangbüchern wie Kunstmusik.